Ja, wieso denn schon wieder das Erste? Das war doch in Wegberg!
- Stimmt! Aber Wegberg war ein Rundstreckenrennen auf einem 2,2km langen Rundkurs. Wegberg war zudem auch ein Lizenzrennen und wurde somit in einem sehr (sehr sehr sehr) viel engeren Kreis ausgefahren.
Mein erstes "großes" Rennen sollte eh Köln sein. Wegberg ist ja eher so dazwischen gekommen, denn zu Köln habe ich bereits kurz nach Anmeldeeröffnung den Entschluss gefasst mitzufahren. "Rund um Köln" ist ein sogenanntes Jedermannrennen. Soweit ich als Radsportanfänger das richtig aus allen verschiedenen Lagern auffassen durfte, sind Jedermannrennen bei den Lizenzsportlern nicht ganz so hoch im Kurs, werden aber dennoch von ihnen Besucht. Man sagt, Jedermannrennen sind gefährlicher, da jeder mit einem Rad dort mitfahren darf. Verstand ist nicht vorausgesetzt. Dem möchte ich so nicht unbedingt beipflichten, denn auch wenn ich nach dem Start mit einigen "Fahrmanövern" von besonders "rücksichtsvollen" Fahrern zu kämpfen hatte, so glaube ich eher, dass diese schiere Masse an Startern ein größeres Problem bzw. eine höhere Gefahrenquelle darstellt als simpel zu sagen: Die haben keine Lizenz, die können nicht Radfahren. Aber das nur am Rande.
Daten | |
---|---|
Strecke | 68,5km |
Profil | 466hm |
Zeit | 1:40:27 |
km/h Schnitt | 40,92 km/h |
Platzierung (Gesamt) | 22 von 2145 |
Platzierung (Altersklasse) | 9 von 451 |
Für mich war es das erste "Nicht-Kriterium", also das erste Straßenrennen auf einer vollgesperrten Strecke. In Köln.
Meine Vorbereitung auf das Rennen bestand im Grunde lediglich daraus, mich am Vortag nicht zu überfressen, 70km bequemes Radfahren zum lockern der Muskulatur und dem Radfahr-Gott ganz generell für das gute Wetter zu huldigen, so wie auch das Rad nach Austausch meines Lenkers und Vorbau auf seine nackte Funktion zu checken. ...und natürlich sportliche Enthaltsamkeit beim Thema Alkohol. Das mit dem ausreichend Schlaf schaffe ich dieses Leben eh nicht mehr. Jede Minute mehr als 5 Stunden pro Nacht sind Bonus und somit wurde ich am 12. Juni auch um 7 Uhr mit komfortablen 5 Stunden Nachruhe wieder wach. Die letzte Stunde Schlaf raubte mir die zweite Wiederholung des Rennens vom Vorjahr aus der Sicht des Lenkervorbau. Danke Maurice Kok, für das Youtube-Video.
Meine Laune nach dem Erwachen war so mittelmäßig, da ich den Handy-Wecker auf 6:30 Uhr stehen hatte und meinen "Schlaf" im 3-Minuten-Snooze-Rhythmus noch eine weitere halbe Stunde "genossen" habe. Egal, der erste Weg führte mich vor die Kaffeemachine. Geistig bin ich vor ihr auf die Knie gefallen und habe sie schluchzend angefleht mir den Saft des Lebens aus der Bohne zu bereiten, welcher mich wach und fit für den ganzen Tag werden lässt und möglichst auch noch meine Endverdauung in den nächsten 30 Minuten zulässt. In der Realität sah ich aber wie immer aus. Boxershort, mit der linken Hand ca. 5cm unterhalb des Gümmisaums den juckenden Hintern kratzend und mit der rechten Hand die Kaffeemaschine hochfahrend. Einschalten, seit Wochen überfälligen Entkalkungsvorschlag mit "Abbrechen" überspringen und die "Bezugstaste" für eine große Tasse des schwarzen Gold anwählen.
Während mein schwarzes Lebenselixier der Wachheit langsam in den stahlgebürsteten Becher floss, griff ich mein Smartphone wieder auf und zog die linke Hand aus der Boxershort. Denn was bringt mir der Kaffee schon, wenn es in Köln aus Eimern schütten wird? Also warf ich schnell einen Blick auf das Wetter in und über Köln. Der Wetterbericht brachte mir die benötigte Klarheit darüber, dass selbst 2016 Jahre nachdem wir noch fleißig Menschen an Holzkreuze genagelt haben auch die Wettervorhersage für "in 4 Stunden" herrlich nichtssagend sein kann.
Fuck you Wetter.
Das Wetter laß sich in etwa so: Es kann Regnen. Sowohl vor 11 Uhr als auch nach 11 Uhr und manchmal ist es schön, aber vielleicht regnet es auch zwischen den Sonnenmomenten. Fuck you Wetter. Ich habe das Rad, meinen Rucksack und Janet ins Auto geworfen und bin Richtung Köln gestartet. Das Wetter schau ich mir vor Ort nochmal an.
Für die Unterbringung meines eisernen Freundes in Köln, dem Auto, wurden vom Veranstalter drei Parkoptionen genannt. Einmal das Parkhaus unterhalb der Veranstaltung welches drölf-milltrionen Euro pro Stunde kosten sollte und alternativ dazu kostenfreie Parkplätze in ca. 5km Entfernung. Sie wurden vom Veranstalter aber auch nicht alternative Parkplätze genannt, denn das wäre in Anbetracht der 5 Kilometer Entfernung auch etwas hoch gegriffen. Also wo führ ich rein: In den Porsche/Ferrari-Showroom unterhalb des Rheinufer-Hafen.
Ich habe direkt die erste Parklücke genommen, da ich auch nicht wusste, dass diese Tiefgarage gefühlt von der Schweiz bis zur Rheinmündung lang ist... aber ich war nicht der einzige "Idiot", ich befand mich bereits in guter Gesellschaft anderer sich am Auto umkleidender Radsportler, die ebenfalls den ersten Parkplatz genommen haben.
Rad aus dem Kofferraum raus, Rucksack raus, Janet ist von alleine aus dem Auto gestiegen und ab zur Veranstaltung. Nach 2 bis 3 Kilometern Durchquerung der Tiefgarage und dem gefühlt 100sten Schild "Vorsicht Vergiftungsgefahr" tauchten wir mitten im Geschehen wieder auf. Links wurden Fahrräder verkauft, rechts die Nummern ausgegeben und vor uns Tschechische Karossen beworben. Achso und oben: Dem Wetterdienst werde ich einen Lappen schicken, damit die ihre Glaskugeln mal wieder putzen. Es hat nicht geregnet und es hat auch nicht nicht geregnet aber es war auch nicht nass oder trocken. Das Wetter war ein ganz klarer Fall von: Trocknerisch feuchtem Sonnenschein bei dichter Wolkendecke.
Das Wetter war mir inzwischen egal. Hauptsache es bleibt so.
Nummer holen. Hat keine 30 Sekunden gedauert. Zur Nummer habe ich auch einen Turnbeutel-Sack mit Goodies bekommen. Wäre ich alleine gewesen, hatte mich jetzt das 5km weit entfernte Auto zum ersten Mal angekotzt. Schließlich hätte ich den Beutel mit Hipp-Brei, einer super-hässlichen Kappe, einigem Papiermüll und einer schwarz-blauen 550ml Trinkflasche ohne Inhalt nicht einfach in den Mülleimer stopfen können, denn die waren bereits zum überquillen voll mit dem Zeugs. Also die zwei essentiellen Dinge - den Transponder und meine Startnummer A3086 - vom Müll abgespalten und den Rest in den Rucksack verstaut. Janet versprach mir darauf aufzupassen. Zunächst musste meine Freundin mir aber dabei behilflich sein die Startnummer am Einteiler zu befestigen. Währenddessen habe ich mich ernsthaft gefragt, wie man das wohl in einem Einteiler macht, wenn man niemandem hat dem man ausreichend Vertrauen schenkt, mit den geöffneten Sicherheitsnadeln in wenigen Millimetern Abstand zum Rücken die Nummer zu befestigen. JEDER auf dem Platz könnte in ungefähr einer Stunde schon ein bitterböser Renngegner sein! ;-) ...meine abschweifenden Gedanken wurden abrupt vom krachenden Geräusch meines auf den Boden umgestürzten, geliebten Rad unterbrochen. Meine Laune stieg direkt zwölf Oktaven tiefer. Mit halb befestiger Nummer am Trikot also erstmal das Plastikrad aufgehoben und eine Bestandsaufnahme der Kratzer gemacht. Der Bremshebel hat ein paar neue Kratzer, das neue Lenkerband ist nun leicht angeschrabt und der Sitz ist nochmal mit leichten Blessuren davongekommen. Mein Schaltwerk hatte ich mit etwas schwarzem Tape gegen genau sowas geschützt... Naja. Unschön aber sowas passiert halt, wenn man sein Rad aufrecht an den Bordstein stellt. Ich hab es danach behutsam hingelegt und lies Janet ihre Arbeit an der Startnummer und meinem Rücken beenden.
Warum meldet sich der Darm eigentlich immer, wenn man von ihm die nächsten 3 Stunden einfach mal etwas Ruhe erwartet? Also mit Freundin, Rad, Nummer am Rücken, Rucksack und noch leicht gedämpfter Laune die Toiletten gesucht und gefunden. Ich war nicht der Einzige mit einer bevorstehenden Darmentleerung und ich war sicher nicht der Erste, der sich auf dieser Toilette entleert hat. Der Toilette konnte ich das glücklicherweise nicht ansehen, die war mehr als okay, aber das Papier fehlte. Also Tür wieder auf, Papierspender am Waschbecken zweckentfremdet, den anderen auf mich wartenden Darmdruck-Kandidaten die Papiersituation flüchtig erklärt und abgetrieben, abgewischt, Trikot an, Hände gewaschen und schnell wieder raus. Eine wohlige Entspannung machte sich in mir breit. Noch knapp eine Stunde bis zum Start und nichts mehr zu erledigen. Also ein bisschen Radfahren vielleicht.
Janet erklärt sich damit einverstanden sich auf einer Bank mit ihrem Unterrichtsvorbereitungsmaterial auszubreiten während ich mich 15 Minuten warm fahren wollte. Ich fuhr zwei Runden und hatte aber dann auch schon das Gefühl, ich sollte mich gleich mal in den Startblock begeben. Die Durchsagen der Moderation versprechen mir: Der Start ist nicht wie im Letzten Jahr am Start/Ziel sondern ausgeschildert. Ich stand also mit vielen anderen im Start-/Zielbereich und konnte ihren Gesichtern ablesen: Die Info war für sie so aussagekräftig wie für mich. Null. Eine kurze Analyse des Menschenstrom bewegte mich dazu, wieder zurückzufahren und ahhhhh, da ist die Startaufstellung. Da ist auch Christof, der in seinem gelben Post-Trikot heller strahlte als die Sonne den gesamten Morgen über. Ich begrüßte ihn und lies mir von ihm letzt Tipps für meinen ersten Start bei einem solchen Massenevent geben, denn ich war ehrlich gesagt zwar auf ein großes Event vorbereitet, aber nicht so ein großes wie, dieses-jenes in welchem ich mich gerade befand. Christof fragt mich auch ob ich Florian, den dritten im Bunde unseres Vereins der hier startet, gesehen hätte. Ich verneinte seine Frage und teilte ihm lediglich mit, dass ich die Fahrer habe ausfahren sehen, aber noch mit meinen körperlichen Befindlichkeiten auf Kriegsfuß stand.
Nach einigen Minuten der Unterhaltung stellten wir dann fest, dass diese Aufstellung nur eine vorübergehende Aufstellung ist und wir doch an den Start/Ziel-Bereich dürfen.
Ich hatte wie durch ein Wunder eine Einteilung im A-Block und ich habe keine Ahnung wieso ich von der Organisation in A eingeteilt worden bin? Ich habe keine Rennerfahrung und keine Vorjahresergebnisse, aber ich hatte Bock und Willen... muss wohl irgendwo in dem Feld zwischen Vor- und Nachnamen bei der Anmeldung mitgeschwungen sein.
In finaler Aufstellung macht man dann das, was alle 2016 so machen. Selfies per Smartphone posten bis die Seelen qualmen und bis der Countdown vom Moderator runtergezählt war. Das war genau JETZT der Fall.
WARUM STEIGST DU IDIOT IN DIE EISEN? Habe ich so laut gedacht, dass mir beim denken des Gedanken ein lautes Stöhnen entronnen ist.
Click, machte mein linker Fuß im Pedal und ich hatte Watt auf der Kurbel und passierte die ersten 50 Fahrer und Fahrerinnen, die ihre Schuhe noch etwas unbeholfen an den Bindungen zerkratzten. Soweit nach Vorne wie möglich war meine Strategie für den Start. Aber auf jeden Fall die Spitze im Auge behalten. Im Tunnel war ich noch immer einige Duzend Rennfahrer hinter dem Ersten und kämpfte dort mit vielen, die wohl eine gleiche Strategie verfolgten, so wie auch mit Menschen, die mit Tunneln nicht so gut zurecht kamen. "WARUM STEIGST DU IDIOT IN DIE EISEN?" Habe ich so laut gedacht, dass mir beim denken des Gedanken ein lautes Stöhnen entronnen ist. Huch?!?! Was war denn mit mir los, Lars? Ich war schon einen Kilometer nach Start im Rennmodus! 100% Konzentriert und im Gegensatz zu meinem ersten Rennen in Wegberg klar im Kopf mit dem Ziel "Spitzengruppe".
Wenn mich die "Rund um Köln"-Organisation schon mit ihrem Vertrauen in meine Leistung und dem A-Block beschenkt, dann möchte ich natürlich auch nicht enttäuschen!
Im Schatten der rollenden Masse war es nicht wirklich anstrengend die satten 50 km/h mitzurollen. Bischen treten, viel gucken und möglichst nicht nach innen drängen lassen, damit ich immer wieder über die Flanken weiter nach vorne komme. Noch in der Stadt und keine 10 Kilometer gefahren hatte ich meinen ehrgeizigen Gedanken nach Vorne vorzudringen bereits umgesetzt. Die Hauptgruppe war auf Grund der noch recht flachen Topologie sehr groß. Unüberschaubar groß und ich habe mich auch nicht sonderlich für das Geschehen hinter mir interessiert. Nach ca. 13 Kilometern am Ende der Odenthaler Straße gab es dann der erster Vorgeschmack auf Steigungen. Grobe 50 Höhenmeter über 3 Kilometer die die Gruppe mit einem 35er Schnitt hochgejagt ist. Hier trennte sich bereits der eine oder andere aus der Gruppe. Mein Wille dran zu bleiben war größer als das Brennen in den Beinen und das laut pochende Herz in meiner Brust. Ich wusste, dass war noch nicht der "echte" Anstieg, der müsse aber bald bevorstehen, also versteckte ich mich etwas tiefer im Feld, rollte die hohe Geschwindigkeit mit und blieb wachsam. Die Geschwindigkeit blieb hoch und dann ging es um die Kurve. Es wurde eine Bergwertung angekündigt und ich wusste, hier bist du falsch und wenn du jetzt nicht über dich hinausgehst, dann war es das mit der Spitzengruppe. Ich schaltete runter und schaute auf meinen Puls. 166bpm, 167bpm, 168bpm... und hinter mir lagen erst 100 gefahrene Meter der 2 Kilometer bei 6% Steigung. Einige zogen an mir vorbei. Einige fuhren mir vorne vom Rad weg aber andere hatten überpaced und ich konnte sie wieder kassieren. Es ging nochmal um die Kurve und dort wurde mir bewusst: Ich habe zwar eine Strategie mit aufs Rad genommen aber keinen Plan. Euch habe ich gerade erzählt, dass es 2km sind, während ich aber wie ein Bär die Kurbeln gekurbelt habe stellte ich mir die Frage: Wie lange schaffst Du 177bpm (182bpm max) bevor du tot vom Rad kippst? ...aber die Sportler zogen sich immer weiter auseinander und ehrlich gesagt wusste ich auch, dass ich mir die Frage nicht jetzt beantworten sollte. Ich nahm einen kleinen Schluck aus der Flasche und trat nochmal härter rein. Löste mich von den 5 oder 6 Sportlern die ich hinter mir keuchen hörte und nahm mir die kleine Gruppe in 25 Metern vor mir zum Ziel. Das Keuchen hinter mir wurde leiser und meine Trittfrequenz stieg an. Ich kam der Gruppe vor mir tatsächlich näher. Über der Kuppe gabs dann zur Abwechslung mal keine Pause sondern aufstehen treten und das Brennen in den beiden größten Muskeln des Körpers genießen.
Es hat nicht gereicht. Vor mir führ eine Gruppe von 20 Fahrern und ich kam nicht ran. Ich nahm etwas Geschwindigkeit raus und ließ die ersten Fahrer hinter mir wieder rankommen. Ich war nun also gefühlt körperlich am Ende, auf dem "Berg" und ziemlich weit vorne... in der Verfolgergruppe. Wir fuhren die nächsten 2 bis 3 Kilometer auf Sichtkontakt hinter den Ausreißern her. In unserer Gruppe waren viele sichtlich angeschlagen. 2 oder 3 stärkere Fahrer arbeitet vorne und gaben meist nach kurzer Zeit wieder auf. Es war keine Stimmung, kein Grund für die 40 oder 50 Fahrer im Verfolgerfeld die gesamte Arbeit zu leisten nur um die Lücke zu schließen.
Nach wenigen Kilometern hatte ich dann meinen Puls wieder gut unter Kontrolle. Ich warf einen Blick auf die Lücke, welche vielleicht 100 Meter groß war und überlegte mir: Schnell raus, schön am Unterlenker festhalten und mein Rad ans Ende der Ausreißer fahren lassen. Gedacht, getan. Aus der 6ten oder 7ten Position weit links raus und kräftig beschleunigt. Der Blick nach hinten zeigte mir, da ist niemand mitgekommen: "Fuck, du bist auf dich alleine gestellt!" schoss mir sofort durch den Kopf. Ich trat wie ein Irrer das dicke Blatt und halbierte nach 1,5 Kilometern Alleinfahrt den Abstand auf die Ausreißer, bis mein Körper meinen Geist im Stich ließ. Mein Verstand erklärte meinem schwer schwitzenden und 180 mal pro Minute pulsierendem Kopf, dass selbst wenn ich es schaffen sollte, ich den Rest des Rennens keine Kraft mehr hätte. Das Rennen war für mich erst zu guten 35% gefahren. Alleine werde ich die letzten 65% bzw. 40 Kilometer sicher nicht schaffen. Ich richtete mich auf, warf einen Blick auf das Feld hinter mir und griff erstmal zur Flasche. Einigen am Rand stehenden Zuschauern erklärte ich zwischen dem ersten und zweiten Schluck, dass "die, davorne" einfach zu schnell sind... und da kam auch schon das Feld und schluckte mich wie ein Wal das Plankton.
Ich lies mich etwas ins Feld fallen, denn irgendwo musste ja auf der Strecke noch dieser sagenumwobene Bensberg mit dem Kopfsteinpflaster kommen. "Mein" Verfolgerfeld schien mir inzwischen auf eine überschaubare Größe geschmolzen zu sein. Die hohe Geschwindigkeit und der letzte klein Anstieg um 30 Meter Richtung Wolkendecke haben nochmal kräftig ausgedünnt. In diesem 50 der 60 Fahrer großen Grüppchen, befanden sich inzwischen sogar einige aus dem B-Block. DA! Die Gruppe, wir kriegen sie! Es wurde wieder schneller, ungefähr so schnell wie die Ernüchterung, dass wir nach knapp 2 Kilometern Treibjagd einen guten Trupp "Velodom 120"-Fahrer, deren Strecke wir gerade kreuzten eingefangen hatten. Jetzt bloß nicht den Überblick verlieren und schnell dran vorbei. Nicht ausruhen. Ich sah schon wie ein Satz Fahrer die Verwirrung zu ihren Gunsten nutzen wollten und versuchten wegzufahren. Ich stieg vom Sattel hoch und trat kräftig rein und so taten es auch einige Andere. Ich fuhr die 15 Meter Abstand wieder zu und wie einem platten Reifen die Luft entweicht, verließ den Trupp die Motivation weiter zu beschleunigen. Dennoch wurde es erneut überschaubarer. Nach etwas über 40 Kilometern und grob zwei-drittel des Rennens nahm ich nochmals Bestand auf. Herzfrequenz stabil am Schwellbereich zu Anaerob. Eigentlich noch nen satten Sack Körner in der Tüte und 28 Kilometer um vielleicht doch noch in die erste Gruppe zu gelangen, wenn es mir nur glücken würde die richtigen Leute mitzureißen und das, ohne dem gesamten Feld die Fahrkarte zu schenken. Die in dieser, meiner Gruppe befindlichen Fahrer waren inzwischen so überschaubar, dass ich anfing sie zu mustern und nach möglichen Zeichen für Erschöpfung oder gar Frische suchte. Wo zum Teufel soll denn nun noch der Bensberg auf der Strecke hergezaubert werden? Ach da, links rein und die Wand hoch, an der Decke entlang weiter, voll auf den Bodenbelag der vermutlich im Mittelalter die Hauptschuld an der geringen Lebenserwartung getragen hat. Das kleine Blatt hatte ich schon am Fuß der Wand schnell eingeworfen, ebenso wie hinten das Ritzel, welches mehr Zähne als ein ausgewachsener Hai hat. Vor nicht ganz 4 Monaten bin ich mit einer schweren Rüttelplatte durch den zukünftigen Garten meines Cousins gefahren. Ich wusste in dem Moment nicht ob ich lieber versucht hätte die Rüttelplatte da hochzuziehen oder das Fahrrad da hochzutreten. Geräuschpegel und Körpergefühl sind auf jeden Fall gleich. Einzig die Reaktion der zahlreichen Schaulustigen, ähmmm ich meinte Zuschauer, an dieser Passage der Strecke, hätte mich wohl nicht angefeuert endlich die scheiss Rüttelplatte zum Schloss hochzuzerren.
Mein wohlgenährter, dennoch sportlicher 80 Kilogramm Seelenträger, die 7,6 Kilo Rad und das verbleibende Kilo Isostar-Plörre in Plastikflaschen wurden von den Seiten also wehement angeschriehen zu lächeln, nicht aufzugeben, gas zu geben, dran zu ziehen, alles zu geben - alles zu geben? Wenn mir jemand das sagt, während ich meine Pumpe mit vollem Bewusstsein in Richtung Intfarkt trete, dann ist der entweder blind oder hat jemanden neben mir gemeint, der aussah als wenn da noch ein quentchen mehr Energie drin wäre. ICH kann da nicht gemeint gewesen sein. Hinter mir fauchten mich bereits die Skelette deren schwerster Körperteil die 200 Gramm Putenbrust vom Vortag ist an, ich möge doch etwas rüber fahren, sie wollen durch die 15cm zwischen Zuschauer und mir rechts bitte vorbei. Diese höfliche bitte äußerte sich in der Regel durch den Ausstoß des Lautes "rechts". Mal mit 3 und in seltenen Fällen mit 8 E's ausgesprochen. Bei den mit 8 E's wusste ich, der atmet entweder durch den Arsch oder hat echt noch Puste.
Trotz aller Kopfsteinpflaster-Strapazen, der Bensberg war kürzer als erwartet
Asphalt! Ich durchfuhr schnell noch ein paar Schlaglöcher um nach der Buckelpiste nicht einen Ruheschock zu erleiden. Noch nie hatte ich das Gefühl den Asphalt a la Papst küssen zu wollen aber dieser glatte Asphalt lud plötzlich echt ein. Trotz aller Kopfsteinpflaster-Strapazen, der Bensberg war kürzer als erwartet und die bekannten Rücken fuhren noch immer da vorne. Direkt vor mir. 15 Meter. Die Straße war abschüssig und wurde langsam etwas feuchter. Ich musste nicht viel machen. Die Bergziegen versuchten in der Abfahrt ihre 30 Kilo Fleisch ums Oberrohr und hinter dem Lenker zu verstecken und ich packte schön an die Bremshörnchen, zog den Kopf ein, trat gemütlich den dicken Gang zur Entspannung in der Luftverwirbelung eines solchen mit Fleisch umwickelten Oberrohr und fuhr meinen Puls runter. Bensberg passiert. Jetzt kommt nix mehr. Ich fuhr weitere 5 Kilometer Stellungsspiel mit und hielt mich in der Spitze. Der Abstand der Ausreisser schmolz streckenweise auf unter eine Minute. Kein wildes hoch und runter mehr. Was also nun Lars? Selber erneut einen Ausreißversuch einleiten oder in der Gruppe abwarten? Wenn ich doch nur die Karte vorher besser studiert hätte. Mein GPS zeigte 51 Kilometer seit dem Start, mein Puls entspannte 161 Schläge. Es ging abschüssig und dann kam mein Zug von hinten angefahren. Zwei Athleten mir ähnlicher Statur zogen vorbei und der Luftzug flüsterte mir: Bitte einsteigen, die Abfahrt ist nicht gleich, nicht verspätet, sondern genau jetzt. Das Tretlager knarzte im Duett mit den Kniegelenken und mein Gehirn wies präzise meine Beinmuskulatur an mal eben ein paar Körnchen in das rollende Sportgerät zu schießen. Da war ich auch schon dran. Hinter mir schaffte es noch jemand und wir hatten einen geschmeidigen 4er-Bob in Schussfahrt, 17 Kilometer vor der Ziellinie. Die Einigkeit unter den Fahrern brauchte nicht groß hergestellt werden. Diese 4er-Zweckgemeinschaft hatte das Ziel: Sieg. In der letzte Kurve im "Wildniswald" hatten wir bereits einen so komfortablen Abstand zu unseren Verfolgern, dass wir uns etwas absprachen, nen schnellen belgischen Kreisel fahren und ansonsten weiterhin einfach die Fresse halten und Watt nur noch durch die Beine ausstoßen.
Das ist mein zweites Rennen in meinem Leben und ich habe in diesem Moment einfach das Gefühl, Lars, du kannst alles, wenn du willst. Das Gefühl hielt 9 Kilometer lang. Wir fuhren Kreisel und der ersten Gruppe immer näher auf. Unsere Verfolger waren nicht mehr zu sehen und meine Beinkraft fuhr gefühlt einen halben Meter hinter mir. Zwei der Jungs merkten, dass wir es nicht mehr schaffen werden und nutzten die Gelegenheit um nur noch 8 Kilometer vor dem Ziel den Anschluss an die führende Gruppe zu machen. Peter Böckelmann und ich blieben alleine zwischen erster Gruppe und unserer alten Heimat, dem Verfolgerfeld. Peter und ich wechselten uns weiterhin mit der Arbeit ab und wir fuhren bei 95% Last weiter. Nicht mehr so auf Kante aber auch nicht entspannt. Peter stellte mir während der Einfahrt in Köln noch scherzhaft die Wahl an der nächsten Ecke zu ihm auf die Couch einzubiegen oder das Rennen, welches sich bereits in etwas aufdringlicherem Nieselregen abspielt, in unter 3 Kilometern zu beenden. "DNF" mit einem Kaffee/Bier oder durchziehen. Keine Frage, die letzten 5 Kilometer werden gefahren auf allem was man mit Beinkraft noch bewegen kann.
Wir fuhren die letzte Schleife vor der Brücke und dann gemütlich nebeneinander die Brücke hoch.
Wir fuhren die letzte Schleife vor der Brücke und dann gemütlich nebeneinander die Brücke hoch. Auf der Brücke erzählte mit Peter noch, dass er seinen Garmin beim Ausriss verloren hat. Naja, in so einem Moment, wenn sich 350 Euro vom Lenker lösen, kann man die Chance auf Fame aufgeben oder hoffen das teure Stück Fahrradcomputer nach dem Rennen im Gras wiederzufinden. Aber auch wenn für Peter aus dem "Team Deutsche Kinderkrebsstiftung" bei der Überfahrt sowohl die Hoffnung auf einen Platz auf der Treppe geringer war als sein Garmin später an der Strecken wiederzufinden, konnte ich ihm eine gewisse Freude und auch Erleichterung in Anbetracht des bevorstehenden Rennendes ansehen. Meine konnte ich spüren und auch ein Blick nach hinten bestätigte mich nochmal. Wir hatten selbst zu zweit nochmal richtig Arbeit geleistet und verdient ganz gute Platzierungen (Peter 21, ich 22 nach Einfahrt) aus den 2145 im Ziel eingefahrenen Sportler herausgearbeitet, wie wir erst viel später erfahren würden.
Bei der Verpflegung an der üppig gefüllten Theke im Ziel mit Müsliriegeln, Mini-Törtchen, eingeschweißten Croissants und Äpfeln stopfte ich mir erstmal die Trikottaschen voll und schob danach mein Rad in eine ruhige Ecke. Angekommen. Kein Plan wie schnell wir waren aber es war eine rasante Fahrt. Die Sportler im Verpflegungsbereich wuchsen plötzlich sprunghaft von 5-6 verlorenen Seelen auf 100 oder 200 an. So viele das ich Janet nur schwerlich den Ort erklären konnte an dem ich nun gerne kraftlos zu Boden sinken wollte. Sitzen irgendwie. Regen, egal, hauptsache kauend und sitzend einige Minuten runterkommen. Ein Kaffee wäre der Wahnsinn gewesen aber irgendwie hat sich Kaffee bei Radsportlern noch nicht so durchgesetzt.
Janet machte mich dank funktionierender Mobilfunkkommunikation und meinen Wortfetzen, die ich zwischen dem Kauen von Nahrung, an sie schicken konnte in meiner Ruheecke aus. Sie sagte mir, Christof stünde neben ihr, er wäre auch gerade angekommen, woraufhin ich ihr erwiderte, dass ich mich aufraffen werde zu ihnen rüber zukommen. Gesagt, getan. Ich schob den "Quell des Leides" mit der rechten Hand neben mir her und humpelte auf den Radfahrer-Pömps zu den beiden rüber. Christof holte uns kostenlose Zitronen-Spülwasser mit Biernote von einem ortsansässigen Tradionsbrauhaus. "Früh Sport", was für ein Name. Erinnert an den Frisiersalon aus dem Nachbardorf: HAIRlich, cHAARaktHAIR, HAIRvorragend, ihr wisst was ich meine.
Wir standen da und Christof, welcher auch nur wenige Minuten nach mir durch Ziel gekommen war, erzählt mir von Stürzen und dichtem Ringen im Feld. Sein Mannschaftskollege aus dem Jedermann-"Team Deutsche Post" ist die letzten Kilometer auf einem total zerschrotteten Vorderrad eingefahren. Mit offener Bremse und einer Acht mit Hang zur Neun.
Christof lud uns nochmal zum Stand der Post ein und verabschiedete sich dann selber dorthin. Ich wollte erstmal die Rad-Schuhe gegen meine bequemeren Sneaker tauschen und beugte mich zu den Füßen über, als sich eine Männerhand mit der Zärtlichkeit eines brünstigen Walross auf meinem Rücken einfand. "Klatsch", gefolgt von einem freundlichen "Naaaa!" begrüßte Florian Janet und mich. Er ist gerade unbeschadet und erfolgreich von der 128 Kilometer langen Strecken zurückgekommen. Wir sprachen noch etwas über das Rennen und Florian hatte auch noch von einigen Remplern zu erzählen. Ich war froh meine Entscheidungen im Rennen so getroffen zu haben, wie ich sie getroffen habe. Es hätte alles schlimm und falsch sein können, aber es war nicht gänzlich falsch und schlimm.
Es war ein spannendes Rennen und ich habe aus meiner Sicht keine großen Fehler gemacht. Ich bin defensiv gefahren und habe - wie geplant - das Rennen aus einer sicheren Position in der Spitzen beobachtet. Meine unzureichende Leistung am entscheidenden und längsten Anstieg hat mich die Mitfahrgelegenheit in der Spitzengruppe gekostet, dennoch habe ich im richtigen Moment meine Kraft in eine Verfolgung investiert, die sich für mich persönlich gelohnt hat, auch wenn ich es nicht mehr bis nach ganz vorne geschafft habe.
Im nächsten Jahr trainiere ich härter! Versprochen Köln! ...jetzt fütter ich erstmal den Parkscheinautomat mit den zum Heben der Schranke benötigten 12 Quadrotrillion Euros und fahre mit Janet, die mich die ganze Zeit so gut unterstützt hat, nach Hause auf die Couch.