802 km und 4500 Höhenmeter sind es letztendlich geworden, um von Pontorson in der französischen Normandie auf dem Rennrad nonstop bis nach Wassenberg in den beschaulichen Kreis Heinsberg zu radeln. Oder besser gesagt……37 ½ Stunden den Allerwertesten mit nur wenigen verpflegungstechnisch notwendigen Pausen auf einem Rennradsattel plattsitzen! Wer so einen Blödsinn gemacht hat? Ja wiedermal ich!!! :-)

Aber erst einmal zum Anfang:  Im schönen Wassenberg nahe Heinsberg aufgewachsen habe ich schon in der Schulzeit im Rahmen eines Schüleraustauschs recht früh die Städtepartnerschaft Wassenberg-Pontorson kennengelernt. Leider haben wir bei dem besagten Austausch in der Frühpubertät jeden weiblichen, französischen Kontakt gepflegt nur eben nicht die Sprache. Daher ist mein Französisch sagen wir mal diplomatisch „rudimentär“ geblieben. Der Städtepartnerschaft blieb ich aber weiter verbunden, sodass ich auf einige Besuche auch im Erwachsenenalter nach dorthin zurückschauen kann.

Wer die Stadt Pontorson nun auf der Karte suchen möchte, wird sie genau an der Grenze der Normandie zur Bretagne, nahe der Atlantikküste finden. Die weltberühmte Abtei „Mont Saint Michel“, welche im Watt auf einer Insel liegt und bei Flut von Wasser umspült wird, liegt 9 km entfernt und ist Teil der Stadt Pontorson. Das etwas bekanntere Paris befindet sich 312 km nordöstlich der Stadt.

Mont Saint Michel und der nicht ganz korrekte Wegweiser in Pontorson nach Wassenberg

Die kürzeste Distanz zwischen beiden Städten beträgt 755 Kilometer. Vor 7-8 Jahren hat mir irgendein greiser Gallier in einem Gespräch erzählt, dass er die Strecke in den 70ern mal mit seinem Rennrad in einer Rekordzeit von 40 Stunden gefahren ist. Bei meinen Französischkenntnissen kann es auch sein, dass er von 755 Litern Rotweinkonsum im Jahr und 40 Tagen Entzugsklinik sprach. Aber wer nimmt das schon so genau;)))

Jedenfalls war mein Traum geboren, diese Strecke auch einmal mit dem Rennrad zu fahren und dabei die Rekordmarke des Asterix zu unterbieten. Natürlich ohne jeglichen Zaubertrank.

Nach 10.000 Trainingskilometern im letzten Jahr, harten Langstreckeneinheiten im Winter bei eiskalten 20 Grad Celsius und einem überwundenen Außenbandtrauma beim Polizeieinsatztraining im März diesen Jahres, sollte es nach zwei Terminverschiebungen nun Anfang September 2016 endlich losgehen.

Nachdem ich 2011 schon einmal ohne Begleitfahrzeug wegen mehrerer Radpannen und übelstem Wetter an dem Vorhaben gescheitert war, wollte ich diesmal nur unter Inanspruchnahme eines Servicewagens starten. Mein Bruder Lars und dessen Lebensgefährtin Ellen übernahmen dankenswerterweise diesen Part.

Um kein Verkehrschaos im filigranen oder plumper gesagt übersichtlichen Straßennetz Nordfrankreichs ausbrechen zu lassen, sollten die beiden mir auch nicht auf Schritt und Tritt folgen, sondern mich lediglich alle 3-4 Stunden an genau vorgeplanten Treffpunkten mit einem Radfahrerbuffet empfangen.

Meine vorgeplante Strecke von Pontorson nach Wassenberg

Am Samstag den 03. September ging es nun um 6:00 Uhr morgens im Stockdüsteren auf die Piste. Am Rathausplatz in Pontorson verabschiedeten mich in aller Herrgotts Frühe standesgemäß der Bürgermeister und Mitglieder des Vorstandes vom französischen Part der Städtepartnerschaft. Sonniges, warmes Wetter war vorhergesagt. Aber offensichtlich scheinen die französischen Wetterfrösche in die gleiche marode Glaskugel zu schauen wie unsere „treffsicheren“ Deutschen. Dichter Nebel bei frischen Temperaturen erwarteten mich die ersten 3-4 Stunden. Von Sonne nix zu sehen. Zu allem Überfluss hatte ich auch an ALLES gedacht,  an ALLES……bis auf meine Verpflegung für die erste Etappe. Bis zum ersten Treffen mit meinem Sevicewagen in 100 Kilometern fuhr ich also quasi durch eine öde Wüste an kleinen französischen Ortschaften mit verriegelt und verrammelten Bäckereien und Supermärkten vorbei. Halb verdurstet und meinem ersten Hungerast nahe, rollte ich schließlich meinem Bruder in die Arme.

Zwei dicke Sandwichs und mehreren Marsriegeln schwerer und diesmal MIT Proviant dabei, ging es weiter in Richtung Nordosten. Mein erstes Fernziel war die Großstadt ROUEN, welches nach 250 km ziemlich mittig zwischen Paris und Atlantikküste an der Seine platziert ist und seit dem zweiten Weltkrieg ähnlichen Charme versprüht wie Wanne-Eickel oder Bottrop.

Wie die Fahrt dorthin war??? Einfach zum Abgewöhnen. Die Tour stand wahrlich unter keinem guten Stern. Kaum hatte unser besagter Zentralstern die Tagestemperatur auf ein erträgliches Maß von um die 20 Grad gesteigert und sich auch mal am Firmament gezeigt, stellten sich Knieprobleme ein. Diese hielten auch bis ROUEN an. Quasi bis ich merkte, dass mein favorisierter Zweiradladen aus Erkelenz beim Radcheck vor der Tour unbemerkt den Satten verstellt hatte. :-( Nach 250 km wie ein Affe auf dem Schleifstein, durften dann auch mal die 40 Jahre alten Beinbeuger wehtun. Inbus raus, Sattel hoch, Problem behoben!

An der Topographie konnte ich leider nicht schrauben. Wer meint Küstennähe sei gleichzusetzen mit Flachland, darf gerne mal die Normandie aufsuchen. Widerliche 3000 Höhenmeter hatte ich bereits nach 300 km auf dem Tacho. Zum Glück kamen in der leicht hügeligen Picardie und dem tellerflachen Flandern nur noch 1500 hinzu, sonst hätte ich direkt vom Ziel zum „Alex“ (Neusser Psychiatrie) durchfahren können.

Unterwegs in Frankreich

Da ich ja nonstop fuhr, galt es natürlich auch in der Nacht radeln was das Zeug hält! Die Nacht ist mangels optischer Eindrücke schnell erzählt. In Amiens war gegen 0:30 Uhr nach 385 km vermeintlich die Hälfte geschafft. Was dann folgte läßt sich in drei Worten noch schneller erzählen: Regen, Regen, Reeeegen! Es schiffte pausenlos bis zum Sonnenaufgang………und dann…….schiffte es noch etwas weiter.

Ach ja, meine Hauptfrontleuchte fiel natürlich nach 2 Stunden aus und ich durfte den Rest der Nacht mit einer kleinen Funzel fortsetzen und von 5 Rückleuchten überlebte sage und Schreibe EINE! Billigkram aus dem Radladen eben;)

Dank neuester französischer Technik, den 24-Stunden-Automatentankstellen, war ich am Morgen nach 500 km an der belgischen Grenze bei Lille auch wieder mal dem Zusammenbruch nahe. Mein Serviceteam schlummerte, wie geplant, tief und fest in einem Hotel in Amiens während ich eigentlich an vorher genau ausgesuchten 24-Stunden-Tankstellen mit Shops meine Vorräte wieder auffüllen wollte. Eigentlich! Letztlich waren die Shops nachts verrammelt und ich durfte mich von 22:00 Uhr abends bis 8:00 Uhr morgens bei dauernder Bewegung von ganzen 6 Snickers und 1,5 Litern Wasser ernähren. Jedes Mannequin auf Diät bekommt mehr zu essenL

Nach fast 600 km und einem von Lars & Ellen gereichten, opulenten Frühstück in Oudenaarde an der Schelde, ging es jedoch dann endlich zum Endspurt. Zuvor musste ich noch ein Telefongefecht mit meinen Eltern austragen, die mich doch glatt aufgrund der ganzen angefallenen Probleme auf der Strecke und meinem unterernährten Zustand zum Aufgeben überreden wollten……Aufgeben? Läppische 180 km vor der Heimat? Haben die Fieber? Netter Versuch!!!

Kommen wir noch kurz zum Thema „Probleme“. Eigentlich konnte man meine Probleme unter einen Oberbegriff zusammenfassen, nämlich BELGIEN! Belgien war mein Problem. Die Radwege eine Katastrophe, praktisch unbenutzbar! Streckensperrungen, die entweder gar nicht mit Umleitungen ausgeschildert waren oder irgendwo in der flandrischen Polder-Pampa endeten. Ja Danke! Die mit scharfkantigen Betonbruchkanten und zerbrochenen Glasflaschen übersähten Radwege boykottierend wurde ich von Autofahrern mehrfach übel angeschnauzt, beleidigt, angehupt, geschnitten…das volle Programm eben. Aber bei teilweise bis zu 50 Liter Regen pro Quadratmeter, die Mittags Rund um Brüssel und Antwerpen runter kamen, nahm ich das eh gar nicht mehr so wahr. War halt wie im Schwimmbad. Kopf unter Wasser und du hörst dank gefluteter Gehörgänge nix mehrJ Eine Brückensperrung bei Lier nahm ich jedoch dann umso mehr wahr. 20 km Umweg, für ein Auto ein Klacks, können für einen franko-alemannischen Radfahrer mit 650 km in den Beinen schon „Aua machen“. Und zu guter Letzt ereilte mich kurz vor der niederländischen Grenze bei Lommel dann doch der unvermeidbare Plattfuß am Hinterrad. Die 450ste kaputte Glasflasche am Wegesrand hatte ich dann doch leider übersehen. Zum Glück war auch diesmal mein Servicewagen schnell zur Stelle. Mit dem Ersatzrad wurden die letzten 100 km in Angriff genommen.

Mit 33 km/h im Schnitt waren die letzten Hundert dann auch schnell erzählt. Ich wollte nur noch nach Hause zu Frau und Kind und das am besten vor Sonnenuntergang. Und nichts……absolut nichts…..auch keine Kraftfahrstraße, leere Handy- und Navi-Akkus oder ein lächerliches Bächlein wie die Maas konnten mich daran hindern, dem Ziel entgegenzurasen. Um 19:25 Uhr erreichte ich nach 37:25 Stunden Brutto oder etwas über 33 Stunden Netto und 802 statt errechneten 768 Streckenkilometern das Rathaus von Wassenberg!!!!!!!!!!! Karamba!!!!!!!!!!!! Auch dass ich ohne die Probleme locker 3-4 Stunden eher im Ziel hätte sein können, tat meiner Freude keinen Abbruch.

Lia, Katja, Familie, Freunde und ein paar Mitglieder des Wassenberger Partnerschaftskomitees, versüßten mir die Ankunft zudem mit ihrer Anwesenheit.  Viiiiiielen Dank dafür :-) :-) :-) :-) :-)

Ein Lebenstraum ist damit in Erfüllung gegangen. Mehr und länger werde ich im Leben wohl nicht mehr fahren. Mein neues Ziel heißt erst mal Papa sein. Was dann an Zeit noch übrig bleibt wird sich zeigen bzw. das wird Lia mir schon zeigen :-) :-) :-)

Familie Gütte am Wassenberger Rathaus

 

Wer die Strecke mal abfahren möchte:

0 km, n/a

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.