Wenn man ein Rennrad fährt, ist man zwar schon eine Rennradfahrer aber noch kein Radrennfahrer.

Seit Sonntag, den 29. Mai 2016 darf ich mich auch Radrennfahrer nennen. Nach dem späten Beantragen und Erhalt meiner ersten Rennlizenz in 2016 war es dann ausgerechnet auch noch meine Heimatstadt Wegberg, in welcher ich das erste mal in den Wettstreit mit anderen Radrennfahrern gehen sollte.

Aber ich fange mal vorne an: Alex, unser Geschäftsführer des Erkelenzer Radsport Club, der mir schon letztes Jahr unbedingt eine Lizenz verpassen wollte, hat es dann dieses Jahr erneut versucht und Erfolg. Ich bin zwar kein per se ängstlicher Mensch, aber Radrennen im Alter von 35 Jahren und gerade mal 2 Jahren intensiver Radsporterfahrung; ich muss gestehen, ich brauchte einige Tage um mich mit dem Gedanken arrangieren zu können. In der Sportart Stuntskating bzw. Freestyle Rollerblading - in welcher ich gute 15 Jahre aktiv war - gehörten Stürze und Blessuren zum Sportalltag. Aber diese sind auch einer der Gründe, weshalb ich zum Radsport gewechselt bin. Je älter man wird, desto vorsichtiger geht man mit potentiellen Gefahren für die Unversehrtheit um - zumindest die meisten Menschen - und ich bilde da keine Ausnahme.

Und dann lege ich mich am Vorabend des Renntag, nachdem ich mein Sportgerät nochmal überprüft habe, ins Bett und meine Gedanken kreisen. "Was machst du wenn es anfängt zu regnen?", "Schaffst du es überhaupt an einem erfahrenen Teilnehmerfeld bei Geschwindigkeiten von über 40 km/h fast 2 Stunden lang mitzukommen?", "Reicht meine Radbeherrschung um dicht gedrängt mit anderen bei hohen Geschwindigkeiten die Kurven zu passieren?", "Willst du wirklich dein Rad und dich der Gefahr eines Unfalls aussetzen?", ... Je mehr ich mich auf diese Fragen konzentrierte, desto mehr Zweifel kamen in mir auf und desto mehr kam der Gedanke: Och, vielleicht regnet es ja Morgen. Aber ist das wirklich eine Lösung? NEIN! "Lars, du fährst Morgen das Rennen, sofern es um 11:55 Uhr nicht aus Eimern schüttet!" Das waren meine letzten Gedanken bevor ich gegen 8 Uhr am Renntag wieder wach wurde.

(Mein Freund Gilbert Jarosch hat beim Rennen mitgefilmt und seine Aufnahmen zusammengeschnitten. Danke!)

 

Meine liebste Freundin Janet wachte ebenfalls neben mir auf. Janet hatte mir schon Tage vorher zugesagt mich zu begleiten und so verließen wir gegen 10 Uhr das Haus in Richtung "Wegberger Industriegebiet". Das Wetter war äußerst Positiv und im Gegensatz zu den verheerenden Prognosen der Vortage erfreulich gut. Während wir zu Fuß die Lindenstraße hinunter gingen kam bei mir langsam Stimmung auf. Das war den Sportlern geschuldet, welche sich entlang der Straße bereits warm fuhren. Je näher wir kamen desto mehr Freude und ein wenig Euphorie kamen in mir auf. 200m vor dem Anmeldebereich stand Alex Auto am Straßenrand und ich freute mich noch ein Stückchen mehr.

Aber zu meiner Verwunderung war es nicht Alex, welchen wir als erstes trafen, sondern ich sah meinen Vereinskollegen Marcus am Start zum bevorstehenden Radrennen in der Klasse "Masters". Nachdem das Rennen gestartet wurde trafen wir dann auch Alex im Startbereich. Gut gelaunt und mit passenden Kommentaren wie immer. "Mach die Klingel ab, die brauchst du gleich nicht. ...und was ist das? Brauchst du den Geschwindigkeitssensor, du hast doch GPS?! - Ich mach ihn ab." "Weisst du, wann du das Gel nimmst?" Meine Nervösität war quasi sofort weg. Ich hatte mir noch nie Gedanken darüber gemacht wann man Gel nimmt. Das Gel-Ding, welches ich in der Trikottasche hatte war, wie dieses Rennen, mein erstes Gel das ich mir selber gekauft habe. "Ich werde es nehmen, wenn ich Hunger bekomme und Zeit habe es zu nehmen."

Marcus drehte währenddessen weiter seine Runden auf dem 2,2km langen Rundkurs mit 4 Bremspunkten. Er blieb gut am Hauptfeld mit welchem er auch ins Ziel eingelaufen ist. Marcus begrüßte mich direkt nach dem Rennen hinter der Ziellinie. Ich gratulierte ihm zum Rennen und versuchte noch etwas an mitteilbarer Erfahrung von ihm zu erhaschen. "Wenn du links auf den Ring einfährst, halte dich innen, da der Wind von außen kommt." Der Tipp war gut. Klingt vielleicht banal aber war etwas einfach umsetzbares und ein Gedanke, den ich während des Rennens nicht mehr denken musste. Dazu komme ich aber gleich noch näher.

Langsam musste ich meine Anmeldung mal machen. Ich hatte lediglich unter Angabe meiner Lizenznummer und des Vereins den Startbetrag von 10 Euro an das Konto des SC Wergberg Abt. Radsport überwiesen. Ein Anmeldeformular gab es dort nicht und ich wusste auch nicht wirklich, was ich per E-Mail noch zusätzlich hätte schreiben sollen. So trat ich nun vor den Anmelde-Altar und wurde auch direkt als der Mensch ohne "Anmeldung" erkannt. Zusätzlich wurde ich mit der Frage konfrontiert, wieso ich als Wegberger im Erkelenzer Radsport Club fahren würde. Aber weder meine Vereinswahl, noch meine unkonventionelle Anmeldung stellten für die gute Organisation und die netten Menschen des SC Wegberg ein Problem dar. Ich erhielt meine Startnummer: 67.

Gilbert, mein bester Freund und Sportpartner seit über 20 Jahren, hat seine Partnerin Simone an die Hand genommen und ist mit ihr zusammen ebenfalls eingetroffen um mich zu unterstützen. Mein "Fan-Club" bestand zu dem Zeitpunkt bereits aus beachtlichen 5 Menschen.

Gegen 11:30 Uhr und gute 25 Minuten vor dem Start habe ich begonnen mich aufzuwärmen und tat es den anderen Sportlern gleich. Ich fuhr im entspannten Tempo den abgesperrten Teil des Grenzlandrings dreimal hoch und runter um dann bei meiner Rückkehr um 11:52 Uhr bereits das Starterfeld an der Startlinie aufgestellt zu sehen. 67 Fahrer und ich drängelte mich von vorne durch das Feld um mich anschließend hinten anzustellen. Ich legte keinen größeren Wert darauf mich weiter vorne zu positionieren, da ich mir vorgenommen hatte mein erstes Rennen entspannt zu fahren und mich selber keine Druck... UND SCHON GING ES LOS. Ich klickte meinen Fuß ein und befand mich mitten im ersten Radrennen meines Lebens. Es dauerte keine 20 Sekunden, da hatte das Feld bereits volle Fahrt aufgenommen. Alles war hektisch und jeder versuchte seine Position im Windschatten des jeweils Vorausfahrenden zu finden. Ich konnte vom Start weg durch einen Korridor mitten durchs Feld bereits vom letzten Platz so an Position 35-40 vorfahren, an welcher ich mich auch erstmal halten wollte. Bereits vor der zweiten Kurve berücksichtigte ich Marcus Tipp und fuhr eng um weit innen auf die Gerade zu kommen. Da war es im Sog der rechts von mir im Wind fahrenden Mitstreiter wirklich angenehm.

Mit über 50 km/h näherte sich der Tross nun also vom Grenzlandring der dritten Kurve, welche nicht zu stark angebremst werden musste. Die vierte Kurve hatte in ihrem Scheitelpunkt einen Schachtdeckel, welcher etwas tiefer saß. Notiz an mich: Da nicht durchfahren. Am Getränkemarkt windete sich die Strecke um die letzte Kurve zurück auf die Zielgerade. Hier gab es ein ganzes Mienenfeld von Schachtdeckeln in der Kurve. Angefangen von einem großen Schachtdeckel an der Kurveneinfahrt, welcher als Erninnerung zum Lenken dich ganz dienlich war, musste man sich bemühen im Scheitel zwischen 3 oder 4 kleinen Deckelchen und einem weiteren großen Deckel entlangorientieren. Bei Regen würden die wohl die Hölle werden.

Zurück auf der Geraden und nach der Kurve ist vor der Kurve beim Kriterium. Ich machte einen Fahrfehler und bezahlte ihn damit, über die Verkehrsinsel holpern zu müssen und büßte 4 oder 5 Positionen ein. Um die wieder zurückzuerhalten entschloss ich mich in einem kurzen Kraftakt über die äußere Flanke auf den Grenzlandring einzufahren... Aber mist: Da war doch... Wind. Jaja, ich hing voll außen und musste nach dem kurzen Sprint auch noch guten 500m im Wind fahren. Die guten Plätze innen waren weg. Mein Herz lief am Ende der Geraden am Anschlag. Die Positionen, die ich im kurzen Sprint gut gemacht hatte schmolzen hinter der Kurve vom Ring runter wieder dahin. Mein Ziel war es mich erstmal wieder auf einen Puls um die 70% zu beruhigen also gliederte ich mich wieder ein und fuhr erstmal etwas Windschatten.

In Runde drei fuhr nicht mehr irgendwer mein Rad, sondern ich realisierte langsam, dass ich es selber bin. Ich machte den Mund zu und schluckte das erste Mal in einem Radrennen. (Und das ist kein Scherz.) Naja, ich bemühte mich zu schlucken und stellte erschrocken fest: Mund ist trocken. Für den Griff zur Flasche war ich noch nicht bereit. Zu neu war noch die Situation. Ich schaffte es endlich meinen Mund wieder zu befeuchten und zu schlucken. Runde 4, 5, 6, 7, 8, 9, ... Die Anstrengung blieb, aber ich fühlte mich wohler und wohler. Das Vertrauen in die Kurvenfahrten genauso wie das Vertrauen in die anderen Teilnehmer stieg. Ich hatte zu keinen Zeitpunkt das Gefühl, dass jemand nicht wüsste was er da tat. Ich befand mich zu meiner eigenen Verwunderung noch immer im geschlossenen Hauptfeld und wir überrundeten bereits die ersten Fahrer. Mein "Fan-Club" ist während des Rennens ebenfalls gewachsen. Zu Marcus, Simone, Janet, Alex und Gilbert gesellten sich noch Dieter und Christof im Vereinstrikot und feuerten mich auf der Zielgerade so lautstark an, dass ihr Tuen auch die Aufmerksamkeit des Moderators auf sich zog. Wahnsinn.

Ich kämpfte mich weiter nach Vorne und war festentschlossen wachsam zu bleiben um bei eventuellen Ausreisversuchen reagieren zu können. Meine Herzfrequenz stand im Schnitt bei 167 bis 170 Schlägen. Ich war also bereits so entspannt, dass ich "den Motor" aktiv etwas im Auge behalten konnte. Trinken ging auch endlich und ja, das Gel habeich mir auch gegeben. Ob es etwas gebracht hat weiss ich nicht, ich bin zum Vergleich ja noch nie ein Rennen ohne Gel gefahren. (Damit war Janets Frage nach der Wirkung des Zeugs aus der quietschbunten Verpackung auch beantwortet.)

Irgendwann, es muss wohl während eines Überrundungstumult passiert sein, wurde es wieder hektisch und die Geschwindigkeit zog massiv an. Da hatte ich den Angriff auch schon verpasst. Eine Gruppe setze sich vom Feld ab. Im Hauptfeld, in welchem ich nun meist irgendwo in den Spitze mitfuhr herrschte leider zu wenig Einigkeit um die Verfolgung aufzunehmen. (Zum Zeitpunkt des Rennens fehlte mir die Übersicht über das was passiert war. Ich habe es erst nach dem Rennen erfahren.) 15 Runden vor Ende riss dann leider der Himmel auf. Erst regnete es nur leicht, dann doch recht stark. Die kleinen Schachtdeckelchen in der Kurve verschwanden unter einer Pfütze und wurde fast unsichtbar. Die Bremsgummis auf der Carbonflanke verloren 70% bis 80% ihrer Verzögerungswirkung. Jetzt war noch mehr Aufmerksamkeit gefordert auch wenn das Rennen seine Hektik etwas verloren hatte, so war die Geschwindigkeit noch immer gleichbleibend hoch. Die letzten 3 Runden vor dem Ende zählte ich aktiv mit runter und freute mich bereits auf den Zieleinlauf und das Ende der Anspannung und Anstrengung.

Bemüht darum meine Eergie nochmal zu sammeln war ich in der letzten Runde dann 1km vor der Ziellinie da wo ich nicht sein wollte: Vorne, vor dem bereits sehr überschaubaren Hauptfeld im Wind. Ich reduzierte die Geschwindigkeit und 5 oder 6 Fahrer schossen an mir vorbei. Ich habe die letzten Kräfte mobilisiert und mich vor der Zielgeraden wieder rangekämpft aber mir war klar, das nach der letzten Kurve alles gegeben wird. Alles das, was ich gerade vor der Kurve verbrannt habe. Mir war es aber herzlichst egal. Ich durchfuhr das Ziel im strömenden Regen, voll mit Adrenalin, glücklich, dass es keine Stürze gab und das vor Allem ich nicht gestürzt bin.

Erschöpft aber glücklich parkte ich mein Rad vor der Kaffee-Ausgabe und bat die nette Frau mir doch einen Kaffee einzuschenken. Einige Momente später kam dann auch schon mein "Fan-Club" und beglückwünschte mich zu meinem ersten Radrennen. Alex hatte mitgezählt und teilte mir mit, dass ich als 21er von 68 Startern durchs Ziel gefahren bin.

Mit dem 4ten Post-Race-Kaffee verabschiedete sich langsam auch das Adrenalin und die Erschöpfung kam etwas mehr durch. Den Nachmittag in Entspannung hatte ich mir verdient. Ich war ein Stück weit selber stolz auf mich und habe mich in meiner Entscheidung an dem Rennen teilzunehmen bestätigt gefühlt. Denn kein anderes Radrennen wird nochmal so neu sein wie mein erstes Radrennen.

Danke an die Anfeuerung und Motivationsrufe meines "Fan-Clubs". Danke an die Abteilung Radsport des SC Wegberg für den großartigen Tag.

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