Das diesjährige Saisonziel verschlug Gerd, Christof, Florian, Mirko, Markus und mich zum wiederholten Male ins Tiroler Alpendorf Sölden. Nach dem Kühtai Desaster 2013 und dem erstmaligen Finish 2014, wollte ich in diesem Jahr vor allen Dingen meine bisherige Zeit verbessern. Nach ausgiebiger Analyse der 2014er Daten und einer Zeit von 11h 53min war recht schnell klar, dass circa 10 Minuten durch wetterbedingtes Umziehen, Halten und Verstauen verloren gegangen waren, weitere 10 Minuten sollten unter trockenen Bedingungen auf der Timmelsjoch-Sölden Abfahrt heraus zu holen sein, weiteren Zeitbonus musste ich in einer guten Gruppe am Brenner oder mit Kraftreserven am Timmelsjoch herausholen. Da meine Vorbereitungsevents recht zufriedenstellend gelaufen waren, peilte ich eine realistische Zeit von 11 Stunden an, im best case wäre 10:30 sicherlich ein Traum. „Winners train - losers complain“ war mein diesjähriges Motto und ersteres galt bereits im Vorfeld für jeden Teilnehmer, der diese vier schwierigen Alpenpässe am Stück in der vorgegebenen Zeit absolvierte. Es galt hingegen nicht für den Vorjahressieger Roberto Cunico und den Zweitplatzieren Emanuel Nösig, welche in der Zwischenzeit beide des Dopings überführt wurden und 2015 nicht startberechtigt waren. 

 

Somit stieg die Anspannung von Tag zu Tag und der allmorgendliche Blick auf die Wettervorhersage wurde immer besser. Traditionsgemäß ging es freitags morgens Richtung Süden. Je mehr wir uns den Alpen näherten, desto besser wurde das Wetter. Nach guten 8 ½ Stunden Fahrzeit erreichten wir endlich unsere Unterkunft. Der Samstag stand voll und ganz im Zeichen von Startunterlagen holen, Räder checken und einer kurzen Vorbelastung. So fuhren wir bei 30°C Mittagssonne die ersten 600 Höhenmeter hinauf Richtung Vent – ein kleiner Vorgeschmack auf den folgenden Sonntag und ein toller Tourenvorschlag von Alex.

Nach einer unruhigen Nacht klingelte der Wecker um 5:30 Uhr. Der Startschuss sollte wie immer um 6:45 Uhr erfolgen und im Hinblick auf eine größere Gruppe am Brenner, wählte ich den Weg zum Start gemeinsam mit Christof und Markus um 6:15 Uhr. 14°C und keine Wolke am Himmel – bereits zu dieser Tageszeit versprach es ein toller Tag mit mächtigem Alpenpanorama zu werden. Nach einer gefühlten Ewigkeit setze sich das Teilnehmerfeld von rekordverdächtigen 4200 Fahrern mit geschätztem 10 Millionen Euro Material nach erfolgtem Starschuss und mächtig „Helilärm“ schleppend in Bewegung. Die Abfahrt nach Oetz verlief schnell, aber wenig hektisch. Um zu dieser frühen Phase des Rennens einem Sturz aus dem Weg zu gehen, ließ ich genügend Abstand auf andere Teilnehmer und erreichte dennoch nach 39 Minuten Oetz. Nun ging es die ersten 18,5km hinauf Richtung Kühtai. Die über 4200 Teilnehmer stauten sich wie immer in den ersten steilen Kehren und es dauerte nicht allzu lange da überholte mich Heinz vom Team Jericho, dem wir drei Starplätze zu verdanken hatten. Ich versuchte meinen Rhythmus zu finden und gleichzeitig die Konzentration hochzuhalten, denn die nächsten Kilometer verliefen bei Geschwindigkeiten zwischen 8 und 11 km/h Rad an Rad. Besonders im bis zu 16% steilen Teilabschnitt hinter Ochsengarten kletterte die Meute mit zum Teil waghalsigen Übersetzungen den ersten Berg hinauf. Kurz hinter dem Stausee dann der erste kleinere Kuhstau. Wenig später ging es an der stimmungsgeladenen Dortmunder (Olé Olé) Hütte vorbei Richtung Labestation. Rennzeit 2h 7min. Alles im Soll. Bloß schnell die Wasserflaschen voll machen war nicht. Denn selbst an der ersten Gießkanne staute sich das Fahrerfeld. Somit vergingen die Minuten wie im Flug bevor ich mich auf die rasante Abfahrt Richtung Kematen aufmachte. Entspannen, genießen und laufen lassen, fiel mir im Vorjahr als wenig geübter Abfahrer noch schwer. Vor allen Dingen, wenn man im oberen Bereich der Abfahrt an zwei schwer Verletzten vorbeifahren muss. In diesem Jahr lief dies deutlich besser und somit erreichte ich mit einer zwischenzeitlichen Topspeed von 93,35 km/h meine bisherige persönliche Höchstgeschwindigkeit auf dem Rennrad.

In Kematen angekommen erfolgte der erste kleinere Rückschlag des Tages. Ausfall der Geschwindigkeitsfunktion meines Sigma Rox. Dennoch erwischte ich eine circa 30 Mann starke Gruppe, in der es gemeinsam Richtung Innsbruck ging. Nach ziemlich genau drei Stunden durchfuhr ich die Zeitschranke hinauf Richtung Brenner und lag damit sogar noch in einer eher unrealistischen 10:15er Marke. Am Brenner hatte ich mir sehr viel vorgenommen und trotz fehlender Tachofunktionen lief es zunächst gut. Die Gruppe war zusammen geblieben und so konnte man sich bei bereits 30°C gut verstecken und mitrollen. Hier traf ich zum ersten Mal auf Martin aus Greven, mit dem ich beim Siegburg Marathon viele Kilometer zusammen gefahren war. Bis Matrei lief alles nach Plan, doch plötzlich wurde es unruhig. Ich merkte immer mehr wie ich zur Führungsspitze der Gruppe wurde und vor mir erhöhten vier, fünf Leute die Schlagzahl. Kurz vor Steinach musste ich reißen lassen, um nicht bereits nach 100km zu viele Körner liegen zu lassen. Ein Blick nach hinten und dann der Schock: Wo war der erst? Plötzlich fand ich mich im Niemandsland zwischen zwei Gruppen wieder und erlebte ein Déja Vu von 2014. Von hier an musste ich nun alleine bis zum Brennerpass fahren. Der Wind blies natürlich von vorne und so wurden die kommenden 10 Kilometer alles andere als erholsam. Nach 4h 32min erreichte ich den Brennerpass – somit lag ich rechnerisch bei einer knappen 10:30er Zeit und hatte im Vergleich zum Vorjahr eine gute Viertelstunde herausgeholt. Jetzt hieß es erstmal Speichenmagnet zu Recht rücken, Flaschen füllen und in Ruhe ein paar Kleinigkeiten essen. Frisch gestärkt und mit tüchtig Gegenwind fuhr ich alleine Richtung Gasteig, um nun bei aufkommender Mittagssonne den Anstieg zum Jaufenpass zu meistern. Die ersten schattigen Kilometer liefen noch recht rund und mein Rhythmus hatte sich schnell eingestellt. Das änderte sich schlagartig einige Kehren vor Kalch. Die Isogetränke waren glühend heiß und wirkten eher als Zuckersuppe und am Wegesrand erschien zum Glück eine Oase. Mehrere Fahrer hatten sich bereits an einer Bergwasserquelle im Vorgarten zu einer gastfreundlichen Einheimischen gesellt und tranken das kühle Wasser. Auch ich ergriff die Chance und nahm die Einladung gerne an. Eine kalte Erfrischung und eine kräftige Abkühlung für Kopf und Arme sorgten zumindest für die nächsten Kilometer für einen kleinen Schub. Bis zu Labestation, einige hundert Meter unter der Passhöhe zog sich der Rest des Aufstiegs erneut wie Kaugummi. Oben angekommen hatte ich bereits reichlich Zeit verloren, lag mit einer Rennzeit von 7h 03min noch so gerade in der 11 Stunden Marke. Auf ging es also in die herrlich kurvige Abfahrt Richtung St. Leonhard. Bei trockener Straße konnte man die fiesen Schlaglöcher und Längsrinnen einigermaßen gut umfahren und im Vergleich zum Vorjahr hatte ich erheblich mehr Kurvensicherheit und das brachte auch mehr Mut. Somit konnte ich zwischen den beiden Zeitkontrollen am Jaufenpass und in St. Leonhard ganze elf Minuten zum Vorjahr rausholen! In St. Leonhard angekommen dann der nächste Rückschlag des Tages. Blick auf den Tacho…39,9°C. Gefühlt war die Abfahrt eine Reise in die Wüste und somit ging es nach 175km in den letzten Anstieg des Tages. DAS Timmelsjoch.  1800 Höhenmeter am Stück, verteilt auf 29 Kilometer. Hier entscheidet sich beim Ötztaler Radmarathon alles – der Sieg, die Niederlage, die Aufgabe oder halt auch eine gute oder weniger gute Finisherzeit und so sollte es auch in diesem Jahr sein. Mit mächtig guten Beinen fuhr ich in den zunächst mäßig steilen Anstieg hinein und merkte aber bereits nach wenigen Kilometern, dass sich mein Kreislauf und die Temperaturen zwischen 35 und 40°C so gar nicht vertragen wollten. Mein Puls blockte bei 135 Schlägen und vielen anderen Fahrern schien es hier ähnlich zu gehen. Es waren noch 25 Kilometer bis zur Passhöhe und die Leute schoben was das Zeug hielt. Viele standen an schattigen Stellen am Rand und erholten sich von den Strapazen. Gel und Banane brachten nicht mehr wirklich viel und so quälte ich mich von Kilometer zu Kilometer, je nach Steigung mit einer Geschwindigkeit zwischen 7 und 12 km/h. Kurz hinter Moos traf ich wieder auf Martin aus Greven, der ebenfalls viel Zeit verloren hatte und dem es in diesen 12% langen Rampen gar nicht gut ging. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass er im Laufe des Timmelsjoch aus dem Rennen ausgestiegen war. Kopf hoch!

Bereits im Vorjahr wirkten die Kilometer von Moos bis Schönau wie eine Ewigkeit. Nach zwei zusätzlichen Zwischenpausen an der berühmten Ötztaler Kraftquelle und einer Feuerwehrstation erreichte ich ziemlich ausgequetscht die letzte offizielle Labestation in Schönau. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass die „Zielzeit“ nicht mehr zu erreichen war. Bis auf eine warme Brühe und ein kleines Stückchen Kuchen war kaum etwas herunter zu bekommen. Aber es musste weiter gehen. Schließlich war gerade einmal Halbzeit. Mit vorhandenen Streckenkenntnissen war zumindest klar, dass die kommenden zwei bis drei Kilometer einigermaßen flach waren, ehe es dann in den finalen Aufstieg mit den berühmt berüchtigten Kehren ging. Die letzte Trinkstelle kam 7,5 Kilometer vor dem Gipfel. Diese ließ ich aus, denn es ging sowieso nichts mehr rein. Kehre um Kehre kämpfte ich mit zum Teil Schrittgeschwindigkeit gegen den inneren Schweinehund und den Gedanken, dass man bei der Geschwindigkeit noch circa eine Stunde bis oben unterwegs sein würde. Nach insgesamt 3 Stunden und 15 Minuten erreichte ich die erlösende Passhöhe und machte mich auf die letzte Abfahrt des Tages. Hier sei noch der kleine 200 Höhenmeter mächtige Gegenanstieg zu erwähnen, den man an normalen Tagen vermutlich im großen Blatt durchtreten würde. Hier und heute krampfte ich mich mit einer Geschwindigkeit zwischen 7 und 8 km/h Richtung Mautstelle. Über Zwieselstein und Hochsölden ging es dann rasant und hochkonzentriert auf die Hauptstraße nach Sölden. Mit 50/12 und allen zur Verfügung stehenden Kräften wollte ich zumindest noch in 11:30 über die Ziellinie fahren und dies gelang mir dann mit einer Punktlandung. Somit hatte ich am letzten Anstieg meine realistische Zielzeit, um eine halbe Stunde verfehlt, aber  immerhin meine Zeit aus 2014, um ganze 23 Minuten verbessert. Mehr war für mich an diesem Tag nicht drin und somit war ich zufrieden den Ötztaler Radmarathon zum zweiten Mal in Folge als Finisher zu verlassen. Im Nachhinein war zwar klar, dass die Temperaturen ab St. Leonhard mörderisch waren. Allerdings wären für eine Zeit zwischen 10 und 11 Stunden und einen wesentlich runderen Ablauf am Timmelsjoch, vor allen Dingen mehr als „nur“ 37.000 Vorbereitungshöhenmeter nötig gewesen. 

Glückwunsch an die fünf anderen ERCler, welche ausnahmslos in absoluten Topzeiten in Sölden angekommen sind. Unter dem Strich war es wieder einmal eine sehr gut organisierte Veranstaltung (allerdings mit grausigem Starterbeutel Geschenk und weniger leckerem Barilla Nudelbuffet) und ein großartiges, verlängertes Wochenende mit den fünf ERClern im Ötztal. Wenn auch nicht im kommenden Jahr, werde ich gewiss in Zukunft zum erneuten Wiederholungstäter!

Bleib dran

Jörg Pferdmenges

 

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