„Wäre, wäre Fahrradkette!!!“ Mit diesem hochgeistigen Zitat des Sprachakrobaten und Abo-Bräutigams „Loddar“ über verpasste Chancen und Ziele kann man treffend die zweite Hälfte meiner Rennradsaison 2018 beschreiben. Keine Ahnung in welchem Zusammenhang Fussballphilosoph Matthäus dies äußerte, aber für mich bedeutet es die (noch) Nichterfüllung eine Radsporttraums. Aber fangen wir von Vorne an:
High Rouleurs Society ist der „Club“ für Bergbekloppte, auf deren Ehrenliste hoffentlich irgendwann mal mein Name steht. Wer jetzt dabei direkt an Las Vegas denkt, dem sei gesagt: Das hat nix mit High Rollern aus Nevada zu tun, die sich mit den Hundertern die Zigarre anzünden und zum Frühstück schon ne Million verzockt haben. Nein! Hier geht’s schlicht um Höhenmeter. Um genau zu sein um sehr viele von denen. Um diesem Club beizutreten, braucht man nicht viel. Man sucht sich einfach ne buckelige Asphaltpiste in den Alpen oder sonst wo und fährt nonstop so lange bergauf, bergab, bergauf und bergab bis der Tacho qualmt und mindestens 10.000 Höhenmeter auf der Uhr stehen. Fertig! Also alles easy!
Nach dem erfolgreichen 8000-Höhenmeter-Kracher „Tour du Mont Blanc“ im vergangenen Jahr, fiel meine diesjährige Eventwahl auf das eidgenössische Alpenbrevet bei Andermatt. Die 265km lange Platin-Strecke wies zwar „nur“ was um die 7000 Vertikalmeter auf, aber wer sollte mich daran hindern nach der Zieleinfahrt einfach weiterzufahren? Pässe am Gotthardmassiv gibt’s jedenfalls bis zum Abwinken. So die Theorie.
Einmal angemeldet nahm das Drama jedoch seinen Lauf.

Training: Training? Wird überbewertet. Knieprobleme im Frühjahr, Verbrecherjagden Tag und Nacht und viele schöne Lego- bzw. Trampolin-Spielstunden mit meiner Tochter ließ das Zeitfenster für Sport stark zusammenschrumpfen. Die Trainingsgruppen vom ERC sahen mich dieses Jahr, wenn überhaupt, höchstens mit Einkaufstüten oder Buggy rumfahren statt mit meinem Rennhobel.
Wetter: Von April an glich Mitteleuropa und der Alpenraum eher der Sahara als gemäßigten Klimazonen. Was sollte also schon passieren? Ausgerechnet ab Mitte August ging aber dem glühenden Zentralstern die Puste aus und bescherte dem Alpenbrevet am 25.08.2018 statt Tropenwetter eine Waschküche mit 7 Grad Celsius und Dauerregen. Prächtig!!!!
Gesundheit: Eine Wespe zimmerte mir ne Woche vor dem Event ihren Arschnagel mitten in den rechten Ringfinger. Ne Viertelstunde später hatte ich ne Pranke wie Bud Spencer und durfte mir im Krankenhaus gleich noch den Ehering abflexen lassen. Ein ärztlich angeordnetes Sportverbot für mindestens ne Woche beendete meinen Plan, beim Brevet im Regen durch die Alpen zu „schwimmen“.

Wat nu? Ne Woche warten und das ganze einfach bei schönem Wetter außer Konkurrenz fahren hörte sich als eine gute Idee an. Gesagt getan fuhr ich Ende August in die Zentralschweiz um dann endlich mal Fahrrad zu fahren.
Die Wetterprognose hatte sich, Oh Wunder!, wieder verschlechtert. Sah es tagelang nach Sonnenschein aus, stand nun wieder am Abend des Folgetages „schottisches Sommerwetter“ an. Da ich eh nicht pennen konnte ging’s daher um Mitternacht ab aufs Rad und in Richtung des ersten Passes.
Was soll ich sagen, zusammengefasst verlief der Wahnsinn wie immer. Ich fuhr bergauf, bergab, bergauf und bergab. Das erste Hügelchen nannte sich Oberalppass. Mit 2044 Metern über dem Meer und 620 Höhenmetern nicht unbedingt der Mount Everest, aber zu nachtschlafender Zeit schon ne Hausnummer zum warm werden. Vorbei am höchsten Leuchtturm Europas auf der Passhöhe ging es auf die rasante Abfahrt nach Andermatt. Moment mal!!! Leuchtturm??? 2000 Meter höher als irgendein Boot rumschippern kann? Die Eidgenossen treffen offenbar Vorbereitungen für die Arche nach der Sintflut könnte man meinen., Aber neeee, hier entspringt nur so ein kleines Bächlein mit Namen Rhein. Und weil das Ding später was größer und bekannter wird, dachte man sich, das Quellgebiet mit so nem Monstrum zu markieren.
Zwischen Operalp- und Sustenpass hatte ich auf der Karte noch ein kleines Sackgassensträßchen zu irgend nem Stausee gefunden. Die Göschenenalp (1792m) wird mit Sicherheit auch bei Tageslicht in keinem Reiseführer je auftauchen, aber hey 620 Höhenmeter auf 11km so nebenbei sind nicht zu verachten. Also rauf auf das Ding. Leider machten sich da erste Abnutzungserscheinungen bemerkbar. Die Gänge waren zu so früher Zeit eigentlich schon zu klein. Irgendwas war also nicht ganz ok! Aber mir ging‘s gut. Daher einfach weiterradeln!
Zum Glück folgte darauf der Sustenpass (2224m). Nun ja, nicht das 1300 Höhenmeter am Stück ein Zuckerschlecken sind. Aber das Sträßchen ist quasi die Jungfrau unter den Alpenpässen, deutlich jünger als alle anderen schweizer Rampen. Die Straßenbauer scheinen irgendwann auf die Idee gekommen zu sein, dass man wesentlich leichter die Berge raufkommt, wenn man die Piste schnurgerade durch zig Tunnel und Galerien gen Himmel in den Fels fräst. Heißt, steile Serpentinen waren so gut wie keine vorhanden. Und da der Mond in der sternenklaren Nacht wie ein 5000-Watt-Flutlichtmaßt die Straße erleuchtete, waren gegen 4:30 Uhr auf der Passhöhe schon 2500 Gesamthöhenmeter in der Tasche.
Die rasante und bei 8 Grad etwas frische Abfahrt unterbrach ich wieder für eine kleine Stippvisite zur nächsten Alpstraße. Engstlenalp (1838m) nannte sich das schmale unbekannte Asphaltband. Das Ding hatte es aber in sich!!!! 1020 Höhenmeter auf 13km und ein dicker Hungerast ließen das Sträßchen zur echten Belastungsprobe werden. Da konnten mir auch der Sonnenaufgang und das Alpenpanorama in Rot und Violett den Puckel runterrutschen. Ich fuhr eh blickwinkeltechnische mittlerweile seit Stunden gefühlt durch den Gotthardtunnel.



Und hier kommen wir mal wieder auf das Thema Gesundheit zu sprechen. Wie soll ich’s passend beschreiben, es machten sich bei der besagten Alpauffahrt erste Anzeichen einer Krankheit bemerkbar, die medizinisch fein und diskret ausgedrückt als Diarrhö bekannt ist. Ich fuhr eben fortan nicht mehr von Passhöhe zu Passhöhe sondern einfach von Gästetoilette zu Gästetoilette.

In Innertkirchen am Fuße des Grimselpasses tankte ich gegen 10:00 Uhr in einem Supermarkt noch einmal alles voll. Ich kaufte einfach mal schnell ein 1-Meter-Baguette und das Snickers-Fach leer und ließ den Proll im Magen verschwinden. Um Elektrolyte wieder zuzuführen, versah ich meine Wasserflaschen zudem mit etwas Salz. Ich kam mir zwar zwischenzeitlich beim Trinken vor, wie ein Verdurstender am Mittelmeerstrand, aber ROADBIKE meinte, dass sowas gut sei. Die 1500 Höhenmeter auf 25km hinauf bis zum Grimselpass (2165m) fuhren sich trotz meines Zustandes noch verhältnismäßig gut. Dennoch gönnte ich mir oben nach mittlerweile über 5000 Gesamthöhenmetern eine längere Pause inklusive einer dicken Portion Pasta. Ich hatte noch Hoffnung, dass Event doch noch zu einem guten Abschluss zu bringen.



Dieser Hoffnungsschimmer wurde praktisch in der nächsten Steigung, die da hieß Furkapass (2436m), pulverisiert. Eigentlich war geplant, den Furka rauf und an der gleichen Seite wieder runter, dann über den Nufenen zum Gotthardpass, den auch wieder runter und dann über den Lukmanierpass wieder zum Startort nach Sedrun zu fahren. Diesen Plan konnte ich nach dem ersten Kilometer Anstieg hinauf zum Furka getrost in den Ofen schieben. Die Erkrankung hatte mich mittlerweile voll im Griff und jede Entscheidung von mir, die Tour unnötig zu Verlängerung, wäre schlichtweg ein Fall für die psychiatrische Klinik gewesen. Ich quälte mich 10km und 600-700 Höhenmeter hinauf zum Furkapass in einer Geschwindigkeit die fußkranke Wanderer locker hätten mithalten können.

Der dortige Abstieg vom Sattel und die der Aufgabe gleichkommenden Entscheidung, direkt die Rückfahrt zum Hotel anzusteuern, verlief nicht ohne Tränen. Aber ich hatte mittlerweile ne Magenkrampf-Pocke wie ne Hochschwangere und war einfach nur fix und alle. „Rien ne va plus!“ wie man in Nevada zu sagen pflegt!
Die „direkte“ Rückfahrt zum Hotel war leider nicht ganz so direkt sondern hatte noch ein kleines Problemchen in Petto: ich hatte noch einen Pass zu überqueren. Vom Furkapass kann man zwar auf der anderen Seite direkt nach Andermatt hinunterfahren, aber zum Vorderrheintal stand eben der Oberalppass (2044m) nochmal im Weg. Ich fass es kurz: so langsam und mit so vielen Pausen habe ich noch nie 700 Höhenmeter überwunden. Stützräder wären echt eine Option gewesen. Es war einfach als hätte mir jemand den Stecker gezogen oder wie man das auch immer beschreiben will. Nach einer gefühlten Ewigkeit und reif fürs Sauerstoffzelt erreichte ich ein weiteres Mal den Rheinquellen-Leuchtturm, bevor es zur letzten alles andere als rasanten Abfahrt ging. Nach 12 Stunden Netto-Fahrtzeit und etwa 17 Stunden Brutto erreichte ich am späten Nachmittag völlig entkräftet mein Hotel.

Gesamtwerte von 208km und 6300 Höhenmeter über 7 Pässe oder Alpstraßen in 12 Stunden hören sich zwar gut an, stellten aber für mich eine deutliche Zielverfehlung dar. Mehr war jedoch in diesem Zustand nicht möglich. Das war das absolute Optimum. Der blöde 10.000er-Club muss eben noch was warten Ein nächster Versuch ist obligatorisch und wird nächstes Jahr gestartet, möglicherweise beim Ultrafondo (Tour de Stations) in der Schweiz.

Bis dahin……Bleib dran

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